von Dr. Jens Hoffmann
Aus psychologischer Sicht kann es offenbar sinnvoll sein, sich Verschwörungsmythen anzuschließen. So gibt es laut Prof. Roland Imhoff von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, Erkenntnisse, dass Verschwörungstheorien eher stärker bei Menschen auftreten, die ein Gefühl von mangelnder Kontrolle im Leben haben.
Beispiele hierfür seien etwa Arbeitslosigkeit, ein Minderheitenstatus oder andere nachteilige Lebenserfahrungen. Eine daraus entstehende Radikalisierung fände dabei meist in sozialen Medien statt, so Prof. Imhoff.
Zudem gäbe es eine sogenannte Verschwörungsmentalität, also eine grundlegende Neigung des Menschen an Verschwörungen zu glauben. Ein prominentes Beispiel hierfür seien etwa die Anschläge des 11. September, die angeblich kein islamistischer Anschlag gewesen seien, sondern von geheimen Zirkeln gesteuert wurden. Überraschenderweise hätten dennoch laut Prof. Imhoff weder in Deutschland noch in den USA Verschwörungsmythen in der Anzahl zugenommen.
Eine wahrscheinlichere Erklärung sei es, dass verschwörungstheoretische Weltsichten schon lange verbreitet seien und erst jetzt in Folge der Pandemie und deren Einschränkungen in den Blick der Öffentlichkeit geraten seien.
Es sei eine grundlegende Fähigkeit der menschlichen Spezies, unzusammenhängende Dinge miteinander in Beziehung zu setzen, so Prof. Imhoff. Die Verschwörungsmentalität folge dabei einer U-förmigen Kurve, die besonders am linken und am rechten politischen Rand stark ausgeprägt sei. Interessanterweise zeigten in Europa gerade die deutschsprachigen Länder, sprich Österreich, die Schweiz und Deutschland eine erhöhte Affinität zu Verschwörungstheorien.
Dabei habe man sich von einer lediglich einseitigen Kommunikation abgewendet. Man gebe den Leuten kein Masternarrativ mehr, sondern mache stattdessen Andeutungen und fordere Menschen dazu auf, eigene Schlüsse zu ziehen. Das unterminiere das Gefühl, dass jemand das Gegenüber von etwas überzeugen wolle. Zum Beispiel: "Frage dich doch mal, wem dieser Lockdown eigentlich nutzt? Wer bereichert sich daran?" Da Menschen grundsätzlich gut darin seien, Muster zu erkennen und Schlüsse zu ziehen, könnten auf diese Weise Verschwörungstheorien befeuert werden.
Für die Psychologin Susanne Schaaf weisen derartige Denkstrukturen auf eine eigene Ideologie und Dynamik hin. Alles richte sich ausschließlich nach den gemeinsamen Überzeugungen. Ein System mit einer eigenen Logik mache es für Außenstehende schwierig, Mitglieder solcher Gemeinschaften zu verstehen oder den Zugang zu diesen zu finden. Man pralle mit Fakten oder gesellschaftlich geteilten Meinungen einfach ab. Stattdessen käme es zu einer „Wir gegen sie“ Haltung, so Schaaf, was eine Radikalisierung vorantreibe.
Es gäbe schließlich nur noch ein Schwarz-Weiss-Muster: Entweder man sei auf der wahrhaftigen Seite oder schließe sich dunklen Mächten an. Psychologisch betrachtet seien radikale Impfgegner Teil eines ideologischen Systems mit nicht erschütterbaren Grundannahmen.
Es sei zudem bezeichnend, dass sich die Anti-Impf-Bewegung so inszeniere, als seien sie die einzigen aufrechten Bürgerinnen und Bürger. Der Impfstatus sei dann ein Kriterium, an welchem man festmachen könne, wer dazugehöre und wer nicht. Dies ginge zum Teil soweit, dass radikale Impfgegner ihren betagten Eltern drohten, diese nicht mehr zu besuchen, wenn sie sich impfen ließen.
Zugleich sei es laut Schaaf kaum möglich, Menschen, die zu radikalen Impfgegnern geworden sind, mit Informationskampagnen zurückzugewinnen. Entscheidend seien direkte Begegnungen mit Vertrauenspersonen, die nicht zur impfgegnerischen Community gehörten. Wichtig sei zudem, Angehörige von Impfgegnern nicht zu verspotten oder den Kontakt gänzlich abzubrechen. Dennoch würde es selten gelingen, überzeugte Impfgegner zu einer anderen Position zu gewinnen.
Der Politologe Josef Holnburger nimmt mittlerweile eine Radikalisierung bei einigen Impfgegnern und Verschwörungsideologen wahr. Es gäbe eine frustrierte Szene, da die Demonstrationen gegen die Impfpflicht nichts gebracht hätten. Er sei deshalb sehr besorgt, dass dies zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft führen könne. Wenn man an eine globale Verschwörung einer bösartigen Elite glaube, sei man eher gewillt bis zum Äußersten zu gehen.
Quellen:
Der Standard: „Warum die Verschwörungsmentalität im deutschsprachigen Raum so ausgeprägt ist“
Neue Züricher Zeitung: „Was haben radikale Impfgegner und Sektenmitglieder gemein?“
FAZ: „Mordaufrufe und Gewalt bei Demos“