von Dr. Jens Hoffmann
Unter dem Titel „Psychopathie und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist aktuell ein wissenschaftlicher Fachartikel von Robert Hare und seinen KollegenInnen erschienen. Hare gilt als weltweit führender Experte auf dem Feld der Psychopathie.
Diese Publikation stellt damit die erste wissenschaftliche Studie weltweit dar, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter dem Blickwinkel der Psychopathie untersucht. Darunter fällt auch Staatsterrorismus.
Unter Psychopathie versteht man eine Persönlichkeitsstruktur, die auch biologische Aspekte aufweist. In diesem Zusammenhang ist etwa das Phänomen der Angstfreiheit zu nennen. Psychopathische Persönlichkeiten sind manipulativ, manchmal aggressiv und sie zeigen wenig Mitgefühl für ihre Mitmenschen. Zudem verhalten sie sich häufig sehr selbstbezogen.
Typische Verhaltensmuster bei psychopathischen Persönlichkeiten sind etwa Verantwortungslosigkeit, hohes Risikoverhalten und eine ungenügende Verhaltenskontrolle. Auch ein Mangel an Empathie, Schuldgefühlen und Reue sind charakteristisch. Psychopathische Persönlichkeiten zeigen oftmals eine Missachtung gegenüber anderen Menschen. Die Rechte anderer sind für sie meist nicht von Bedeutung und sie zeigen oftmals aggressives und übergriffiges Verhalten.
In der Studie wurden Daten von Tätern aus dem Pinochet Regime analysiert. Im Jahr 1973 gab es dort einen Militärputsch. Tausende Oppositionelle wurden festgenommen, gefoltert und ermordet. Die Bürger sollten abgeschreckt werden von eigenen politischen Aktivitäten. Berüchtigt und gefürchtet war auch das Verschwinden lassen von Oppositionellen, die oftmals nie wieder aufgetaucht waren.
Bob Hare und seine MitautorInnen gelang es Jahrzehnte später umfangreiches Aktenmaterial über eine Gruppe von Tätern der Militärjunta zu erhalten. Die Täter, allesamt Männer, wurden zudem seinerzeit interviewt. Dabei hatten vierundvierzig der Täter Verurteilungen wegen Mordes, neun wegen Entführungen und vier wegen Folter erhalten. Sie waren damals gemeinsam in einem speziellen Gefängnis untergebracht.
Auf Grundlage dieser umfangreichen Datenbasis war es auch möglich, die Psychopathy-Werte der einzelnen Täter des Pinochet-Regimes zu kodieren.
Zudem wurde eine Vergleichsgruppe gebildet. Diese bestand aus 50 Psychologen, die älter als 50 Jahre waren und keine psychologischen oder kognitiven Einschränkungen aufwiesen.
Die vorliegende Publikation stellt somit die erste empirische Studie dar, die die Rolle von psychopathischen Persönlichkeiten bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht und mit einer neutralen Gruppe vergleicht.
Die Täter – allesamt Männer – zeigten sich als grandios, manipulativ und unbarmherzig. Es handelte sich offensichtlich um ehrgeizige und rücksichtslose Offiziere. Diese Gruppe verhielt sich betrügerisch und verantwortungslos. Je höher der Rang der Militärs war, desto ausgeprägter war auch das Level der Psychopathy.
Hierbei gibt es eine beunruhigende Parallele mit den Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Überfall von Putin auf die Ukraine.
Bereits im Jahr 1993 sagte Putin vor deutschen Wirtschaftsvertretern, dass er eine Militärdiktatur wie in Chile ausdrücklich als Vorbild sehe. Verstörenderweise applaudierten nach dieser Aussage von Putin einige der anwesenden Manager.
Es zeigt sich hier offenbar einmal mehr, dass bestimmte Persönlichkeitsstrukturen, eingebettet in einer destruktiven und menschenfeindlichen Ideologie, höchst gefährlich sein können.
Es liegt also auch an uns allen wachsam und entschlossen zu sein und sich anbahnenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit entgegenzutreten.