Von Mirko Allwinn, I:P:Bm
Männer, deren Hass auf Frauen so tief verwurzelt ist, dass sie in seltenen Fällen sogar zur Waffe greifen − die sogenannte „Incel"-Bewegung befindet sich gegenwärtig unter dem medialen Vergrößerungsglas. Spätestens seit dem Amoklauf von Toronto am 23. April 2018 erhalten Incels verstärkt Aufmerksamkeit.
Der Täter aus Toronto kündigte kurz vor seiner Tat via Facebook eine „Incel-Rebellion“ an und nahm Bezug auf Elliot R. einen „ideologischen Vorgänger“.
In den sozialen Medien findet sich inzwischen zu fast jedem Thema eine Community von Gleichgesinnten. So tauschen sich in diversen Gruppen auch Männer über ihr fehlendes Sexualleben aus. Philipp Bovermann spricht hier von einer „Echokammer der Manosphere“. Solche Sphären finden sich beispielsweise auf Reddit. Eine der Sphären wurde 2017 wegen überschäumender Gewaltphantasien geschlossen.
Der Begriff "Incel" steht für „involuntary celibates" und lässt sich mit "unfreiwillige Zölibatäre" oder "unfreiwilliges Zölibat“ übersetzen. Romantische, geschweige denn sexuelle Beziehungswünsche werden nicht erfüllt. Vor allem im Bereich der Sexualität ist aber das Krisen- und Kränkungserleben häufig am größten. So entsteht bei den "Incels" ein Gefühl von Unzulänglichkeit, das sie dadurch zu kompensieren versuchen, dass sie Frauen im Allgemeinen oder sexuell erfolgreichere Männer im Besonderen abwerten. Diese werden dann mit "Stacy" oder "Chad" betitelt. Manchmal wird für den fehlenden Erfolg auch gleich eine ganze Gesellschaft verantwortlich gemacht. Die eigene Sicht auf die Welt wird nicht selten in Selbstzeugnissen wie Videos, „Manifesten“ oder Posts in sozialen Medien zum Ausdruck gebracht.
Markus Theunert, Leiter des schweizerischen Instituts für Männerfragen, wird auf watson.de mit den folgenden Worten zitiert: „Schließlich ist es einfacher, den maskulinen Autopiloten einzulegen und sich zu beklagen, dass die Welt nicht richtig tickt, währenddem man doch selber alles ,richtig' zu machen scheint.“ Dies ist ein klassischer psychologischer Abwehrmechanismus zum Schutz des eigenen Selbstwerts.
Es sei betont, dass selbstverständlich kein automatischer Zusammenhang zwischen der "Incel"-Bewegung und schweren Gewalttaten besteht. Neben ihrem Hass auf Frauen liegen noch eine Vielzahl weiterer Faktoren bei Tätern vor, die sie schließlich in eine Gewalttat führen.
Handlungsdruck aufgrund eigener Unzufriedenheit ist nicht immer etwas Schlechtes − es kommt darauf an, welche Rückschlüsse daraus gezogen werden und ob das zukünftige Verhalten sozial verträglich ist oder nicht. Nicht alle "Incels" posaunen ihren Hass gegenüber Frauen oder sexuell erfolgreichen Männern heraus. In einigen Foren finden sich Beispiele gegenseitiger Anteilnahme und Unterstützung − eine Unterstützung, die sie in anderen Sphären so bislang nicht erhalten.
Professionelles Bedrohungsmanagement hilft dabei, besorgniserregende (Online-)Kommunikation objektiver zu bewerten und anhand von Warnverhaltensweisen zu analysieren. Ob jemand ein "Incel" ist oder nicht, ist dabei zunächst vollkommen unbedeutend. Entscheidend ist, ob die Kommunikation darauf hindeutet, dass die Person sich auf dem Weg zu einer Gewalttat befindet oder nicht.
Eine erste Annäherung an die „Incel"-Bewegung findet sich hier: