von Nils Böckler, I:P:Bm
Nach dem Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke wird in den Medien derzeit die Frage gestellt, ob der Gewaltakt durch einen Einzeltäter oder aus einem rechtsextremistischen Netzwerk heraus begangen wurde. Während dieser Sachverhalt nur auf Grundlage weiterer Ermittlungstätigkeit der Sicherheitsbehörden erhellt werden kann, muss bereits jetzt betont werden, dass sich auch die Radikalisierungsprozesse von Einzeltätern niemals in einem sozialen Vakuum vollziehen.
Dazu ein TV-Beitrag mit dem I:P:Bm Experten Nils Böckler im WDR:
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/aktuelle-stunde/video-der-fall-luebcke-rechte-hetze-und-konsequenzen-100.html
Weitere Hintergründe zur Vernetzung rechtsextremer Täter
Der rechtsextreme Attentäter versteht sich als Soldat, der den vermeintlich stillen Willen des Volkes umsetzt. Dies funktioniert nur, wenn er seine Rechtfertigungsmuster für die Gewaltanwendung aus einem gesellschaftlichen Vorrat an Abwertungen und Diskriminierungen schöpfen kann. Solche Prozesse waren sowohl im Vorfeld der Gewalthandlungen am Olympia Einkaufszentrum in München im Jahr 2016 – als ein 18-jähriger Schüler am fünften Jahrestag des Anschlags von Anders B. neun Menschen tötete – als auch beim Attentat 2015 auf die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker durch einen rechtsextremistisch motivierten Einzeltäter festzustellen. Selbst die Wirkmacht extremistischer Netzwerke wie „Blood and Honour“ oder ihr terroristischer Arm „Combat 18“ lassen sich nicht losgelöst von gesellschaftlichen Entwicklungen verstehen. Ihre Ideologie wird von verschiedenen rechtsextremen Einstellungen getragen – diese reichen vom rechten Rand bis in die Mitte der Gesellschaft, wie etwa Zick, Küpper und Berghahn 2019 in einer Studie zeigten.
Einfache rechtspopulistische Erklärungsmuster können dabei als Schleusenöffner für den sukzessiven Einstieg in die gewaltaffinen extremistischen und letztendlich auch terroristischen Kreise wirken. Die Übergänge sind zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus häufig fließend, da ihre Erklärungsmuster in ähnlichen Freund/Feind Schemata wurzeln. Im Laufe einer Radikalisierung spitzen sie sich zu. Hierbei sind folgende Mechanismen erkennbar:
- Es wird ein Missstand in einer Gesellschaft aufgegriffen, der mit diffusen Ängsten, Sorgen und Bedrohungsgefühlen verbunden ist (Missstand)
- Die vormals diffusen Ängste und Sorgen werden auf eine Bedrohung von außen zurückgeführt und anhand dieser konkretisiert (Einfache Erklärungsmuster, Schuldzuweisung)
- Der Zusammenhalt der eigenen Gruppe wird als Lösung propagiert. Dieser wird durch Abgrenzung nach außen hergestellt und gefestigt (Wir vs. die Anderen)
- Den "Anderen" wird klares Kalkül unterstellt, womit Ihnen jeglicher moralischer Kompass abgesprochen wird (Kampf um moralische Höherwertigkeit)
- Wer nicht moralisch handelt, dem fehlen grundlegende menschliche Eigenschaften (Dehumanisierung und Dämonisierung)
- Wer die eigene Gruppe in Gefahr bringt, muss aufgehalten werden; dies gilt auch für jene internen Kräfte, die gemeinsame Sache mit dem Feind machen (Gewalt als Option)
- Alle friedlichen Optionen sind ausgeschöpft, es ist 5 vor 12 und Gewalt ist die letzte logische Konsequenz (zeitliches Imperativ – Handlungsdruck)
Auch dem Staat und dessen Vertretern wird in diesem Zuge das Misstrauen ausgesprochen. Es gilt die alten Werte und Strukturen zu verteidigen, notfalls auch zu dem Preis, dass das Gewaltmonopol des Staates ausgehebelt wird. Vor dem Hintergrund dieser Argumentationsmuster beobachten wir derzeit eine Radikalisierung vielfältiger Akteursgruppen, die von selbsternannten Bürgerwehren, Reichsbürgern, hierarchisch organisierten extremistischen Gruppierungen bis hin zu sogenannten Einzeltätern reichen, die sich als völkische Kämpfer gegen die Eliten inszenieren. Auch haben es rechtsextreme Gruppierungen verstanden, ihre Begriffe im Mainstreamdiskurs zu platzieren, wie derzeit etwa die Identitäre Bewegung, die in ihrer Propaganda die Konzepte Kultur, Identität, Volk stark macht und zum Kampf gegen Islamisierung, Umvolkung und Volkstod aufruft. Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die derzeit – in sozialen Netzwerken wie in der Politik – zu beobachtende Verschiebung des Sagbaren und das Brechen mit immer neuen Tabus auch mit einer gefährlich voranschreitenden Verschiebung von Handlungen in Richtung Gewalt einhergeht.
Unser Seminar zum Thema:
„Rechtsextremistische Gewalt: Erscheinungsformen, Eskalationsdynamiken und Gegenstrategien“
https://www.i-p-bm.com/seminare/seminare-a-z/73/rechtsextremistische-gewalt-erscheinungsformeneskalationsdynamiken-und-gegenstrategien
Weitere Lesetipps:
Böckler, N. & Hoffmann, J. (2018): Von Hass erfüllt. Warum Menschen zu Terroristen und Amokläufern werden. München: MVG.
Heitmeyer, Wilhelm; Borstel, Dierk (2012): Menschenfeindliche Mentalitäten, radikalisierte Milieus und Rechtsterrorismus. In: Malthaner, S. & Waldmann, Peter (Hrsg.): Radikale Milieus: Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen. Frankfurt: Campus.
Quent, M. (2016): Selbstjustiz im Namen des Volkes: Vigilantistischer Terrorismus. Bundeszentrale für politische Bildung:
https://www.bpb.de/apuz/228868/vigilantistischer-terrorismus?p=all
Zick, Andreas/Küpper, Beate/Berghahn, Wilhelm (2019). Verlorene Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Hrsg. von Franziska Schröter für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn: Dietz Verlag.